WBF-02 (Viele Browser-Strategiespiele nerven furchtbar weil ...): Von den Melkkühen des Servers
Man stelle sich folgendes (vollkommen surrealistisches, hypothetisches) Szenario vor: Gute Freunde empfehlen dir ein neues Scene-Restaurant mit super-leckeren Speisen, 1a Bedienung und das zum kleinen Preis. Also nimmst Du Dir einen freien Abend und gehst mit Deiner Freundin hin. Am Eingang wirst Du aber von einem Türsteher abgefangen und dezent mit Deiner Freundin in die Küche geleitet, wo ihr beide gezwungen werdet, den ganzen Abend Kartoffeln zu schälen und dann noch den Abwasch zu erledigen.Kurz nach 24 Uhr werdet ihr frei gelassen, nachdem die Tische sauber gewischt sind. Zum Schluss fasst Du Dir doch noch Mut und fragst, was das sollte. Man erklärt Dir gelangweilt, dass man den Andrang und die Preise nur deshalb bewältigen könne, weil nur die ersten 200 Gäste des Abends essen dürften, die anderen aber eben einen Teil der Arbeit zu übernehmen hätten.
Surreal, Irreal, gespenstig? Ja. Weit her geholt? Nicht so ganz. Bei Restaurants gibt es so etwas noch nicht, aber bei Strategiespielen im Internet sieht man ähnliche Phänomene leider allzu oft.
Es geht um die Melkkühe des Servers, jene armen Schweine, die Stunden gespielt haben, um sich etwas aufzubauen, nur um dann erschrocken festzustellen, dass die eigene "gigantische" Flotte (Truppen, Armee, oder was auch immer) ein Mückenschiss gegenüber den Flotten der anderen Spieler sind, die schon ein paar Monate früher auf diesem, gleichen Server eingestiegen sind.
Das Gemeinste dabei ist dann die Kampfauswertung. Sie liest sich ungefähr so: Eigene Verluste 100% (der über viele Stunden mit viel Spielerschweiß gerüsteten Einheiten) -- Feindliche Verluste: 0. Nein, nicht 0% oder 0,001% -- sondern 0,0 Einheiten -- keine einzige, popelige, feindliche Einheit hat auch nur den kleinsten Kratzer im Lack davon getragen!
Es ist gerade so, als wären die eigenen Einheiten non-existent gewesen. Das eigene Spiel der letzten Wochen einfach nihiliert.
Die eigenen Ressourcen sind auch weg. Und genau das war auch der einzige Grund für den Überfall des übermächtigen Gegners. Du hast nicht etwa Deinen Kaugummi in den Vorgarten des Anderen gespuckt. Du hast ihn noch nicht einmal schief angeschaut -- nein, der Grund ist ganz und gar unemotional, ganz und gar profan: Du hast ein paar Ressourcen gebunkert, die der Andere mal schnell abgreifen wollte. Das alles ist Routine, ganz gefühllos, ganz unpersönlich!
Dann weißt Du, dass Du ab sofort zu den Melkkühen des Servers gehörst! Das Ganze nennt sich deshalb auch folgerichtig "Farming" -- das Farmtier bist du, die Farmer sind die, welche schon lange genug auf dem Server sind, dass sie sich auf das Recht des Stärkeren berufen können.
Natürlich versuchen die Spielebetreiber dem Farming entgegen zu wirken, indem sie beispielsweise Regeln zum Anfängerschutz einbauen oder Regeln, die wiederholte Überfälle auf die selben Opfer unterbinden sollen. Doch letztlich können keine Zusatzregeln das Problem lösen, so lange das Spielprinzip immer größere Ressourcenmengen fordert und dass daraus folgert, dass die welche schon länger auf dem Server sind einen massiven Vorteil gegenüber Neulingen haben, der sich auch mit Anfängerschutz nicht wett machen lässt.
Das Problem liegt also im Spielprinzip. Aber es ist ja so schön einfach, schlicht neue Grafiken zu erstellen, neue Gebäudearten und Einheiten zu erdenken und ansonsten den Rest von den 90% anderen Strategie-Browserspielen zu kopieren. Das geht fast ohne Verschwendung von Hirnschmalz, dazu braucht man nur die Kreativität eines Kartoffelmessers oder ca. 15 Minuten Recherche in Wikipedia.
So lange praktisch fast nur diese Spiele angeboten und gespielt werden, werden die Melkkühe des Servers weiter gemolken werden, während nur einige Wenige das Essen im Browser-Fastfood-Restaurant genießen dürfen.
In irgendeinem SciFi-Roman (es könnte sogar "Perry Rhodan" gewesen sein), hat mal wer sinngemäß einen ziemlich schlauen Satz geäußert:
AntwortenLöschen--- Willst du eine Spezies kennenlernen, dann spiele ihre Spiele!
Der Markt diktiert die Gesellschaft. Der "First Mover" räumt ab. Gewinnmaximierung ohne Rücksicht auf (fremde) Verluste ist das Credo all jener, die als die Erfolgreichsten und Prominentesten gefeiert werden und die zumeist auch über den Gesetzen stehen. Dass die überwältigende Mehrheit aller (kommerziellen) Spiele ebenfalls dieser "Logik" folgt, ist keine Überraschung. Es ist ebensowenig seltsam, dass solche Spiele von unzähligen Menschen oft sogar im Bewusstsein dessen leidenschaftlich gern gespielt werden - denn da wird ihnen die Chance suggeriert, es einmal den "Großen da oben" gleichzutun, zu erleben, dass dieses Prinzip wirklich funktioniert. Eine sicherlich streitbare Erfahrung, die ihnen aber ansonsten im Leben verwehrt bleibt. Und eben weil es dasselbe Prinzip ist, haben Entwickler und Publisher längst entdeckt, dass mit solchen Spielen auch das meiste Geld zu verdienen ist. Milliarden, seit Jahren. Der Mensch ist träge und suhlt sich lieber (teilweise leidend) im Gewohnten, als das scheinbare Leid auf sich zu nehmen, gewohnte Gefilde zu verlassen. (Was ihm als "lebensgefährliches Unterfangen" ja auch von früh bis spät eingetrichtert wird.)
Macht man es also anders - eigentlich nämlich besser - sieht man sich den größten Vorbehalten gegenüber. Der tragische Witz der Geschichte. Was freilich nicht heißt, es nicht unversucht zu lassen. Und somit braucht die Lösung des Problems einen festen Willen und einen langen Atem, denn Wohl und Wehe entscheiden sich an einer einzigen Frage:
--- Will ich mit dem Spiel Geld verdienen?
Sobald die Antwort "Ja" lautet, schwenkt man unwillkürlich auf die Bahn des üblichen geschilderten Prinzips ein. Mehr oder weniger intensiv, aber das ist letztlich ohne Bedeutung. Denn tatsächlich ist einzig eine Frage der inneren Einstellung, nichts sonst. Bleibt hingegen die (ehrliche) Maxime erhalten, dass das Spiel einzig dem Zweck dient, seine Spieler lehrreich zu unterhalten, ihnen also einen tatsächlichen Nutzen bringt - unabhängig von Ranking, Ruhm und Preisgeld - dann wird es auch immer genug Geld erwirtschaften, das für seinen Betrieb und seine weitere Entwicklung erforderlich ist. Und es ist nicht gesagt, dass deswegen keine große Nummer draus werden könne.
Anders als Markus Schneider sehe ich das Problem nicht in der Niedertracht des Menschen oder der kommerziellen Orientierung der Betreiber, sondern -- mal wieder -- im Prinzip: Es geht gar nicht anders.
AntwortenLöschenSchauen wir uns mal beliebige Strategiespiele für den PC an, etwa Warcraft 3, Supreme Commander oder C&C. Habt ihr schon mal ein solches Spiel gesehen, bei dem /nicht/ alle Spieler gleichzeitig starten? Nein, gibt's nicht. Kann's nicht geben. Der später einsteigende Mitspieler wäre immer im deutlichen Nachteil, weil seine Basis noch nicht soweit ausgebaut ist wie die der anderen. Er wäre der erste, der verliert. Und im Singleplayer startet zwar der Computergegner mit vorgebauter Basis, ist aber so nett, mit seinen Angriffen zu warten, bis du sie handlen kannst.
Solange wie das Spiel auch nur das geringste Aufbauelement beinhaltet, hast Du keine Chance gegen die, die schon einen Monat früher mit Aufbauen angefangen haben. Eine überlegene Kampfstärke basiert in solchen Spielen immer auf einer überlegenen Ressourcenproduktion und Infrastruktur. Die Ressis sind quasi die Energie, die die Kampfmaschinerie speist. Deshalb ist es typischerweise die beste Strategie, in der Anfangsphase des Spiels so wenig Truppen zu bauen, wie es die Verteidigungslage zuläßt, und alle Ressourcen in den Ausbau der Infrastruktur zu investieren.
Verschärft wird dieses Prinzip noch durch das verbreitete Spieldesign, daß die Ressiproduktion mit dem Hochleveln nicht nur linear, sondern exponentiell steigt. Und das obwohl die exponentielle Steigerung ohnehin schon im Prinzip verankert ist. Es ist nämlich so, daß selbst bei nur linearer Steigerung der Produktion der Zugewinn durch Kampfhandlungen tendenziell proportional zum Umfang der bestehenden Basis ausfällt, was im Ergebnis zu einem exponentiellen Wachstum führt. Beispielsweise wird jemand mit 10 Inseln in seinem Besitz sich pro Woche etwa 1 bis 3 weitere Inseln einverleiben können, während der mit 100 Inseln in der gleichen Zeit 10 bis 30 Inseln schafft.
Und hier sehen wir ganz starke Parallelen zum Kapitalismus. "Der Teufel scheißt auf den größten Haufen", heißt es im Volksmund, und so ist es auch. Ein junger Unternehmer mit einer brandneuen Geschäftsidee wird mühevoll seine erste Filiale aufbauen. An ein vernünftiges Einkommen ist in der Zeit nicht zu denken. Wenn alles gut läuft, wird er auch irgendwann die zweite Filiale mühevoll aufbauen. Die dritte ist dann schon leichter, und ab der fünften geht alles schon flott von der Hand. Währenddessen wachsen die (finanziellen) Ressourcen beständig mit. Hat er dann halb Deutschland unter Kontrolle, fügt er problemlos jede Woche eine neue Filiale hinzu und der Rest ist nur noch Formsache.
Will man dagegen eine Einzelhandelskette im Stil von Aldi oder Lidl aufziehen, so wird man da nicht die geringste Chance haben. Diese Claims sind abgesteckt, und ohne finanzstarken Background in der Größenordnung von Risikokapitalgebern läßt sich daran nichts ändern.
Solche Beispiele lassen sich in der Wirtschaft viele finden, man muß nur mal genau hinschauen. Es gilt immer das Prinzip, je mehr ich schon habe, umso mehr kann ich investieren, um noch mehr zu bekommen. Aber hab ich nichts, bekomm' ich auch nichts. Es kann ja nicht mal ein Handwerker eine selbständige Existenz aufbauen, ohne vorher einen Batzen Geld in Werkzeuge zu investieren -- ein typisches Problem von Nahe-Hartz-4-Arbeitern.
Tatsächlich haben mir diese Spiele geholfen, den Kapitalismus im Kern zu verstehen, weshalb ich auch der Meinung bin, daß simulationslastige Spiele stark beim Verständnis der Welt helfen können.
Also bauen die Betreiber Anfängerschutz ein. Ein, zwei oder sogar vier Wochen Angriffssperre sind eine verbreitete Variante. Und dann? Sobald die Schonzeit abgelaufen ist, steht man am selben Punkt. Die anderen sind schon viel größer und man hat ihnen nichts entgegenzusetzen. Ein solcher Anfängerschutz ist sinnlos. Er kann allenfalls bewirken, daß Neulinge schonmal in das Spiel reinschnuppern können, um dann auf einen neuen Server zu wechseln und nochmal richtig zu spielen.
AntwortenLöschenGanz toll finde ich auch die Anti-Bashing-Regeln. Nicht nur daß sie in der Sache nichts nützen außer vielleicht, daß das Opfer nicht gleich unter Tränen seinen Account löscht. Besonders lustig ist es, wenn man von der Regel gar nichts weiß, weil sie lediglich in einem obskuren Posting in einem versteckten Forum (nicht vom Spiel aus verlinkt) niedergeschrieben ist, und man dann plötzlich gesperrt wird, weil man angeblich in der vergangenen Woche einmal zuviel angegriffen hat. Das zeigt mal wieder die typische soziale und technische Inkompetenz der Betreiber. Wenn sie das Bashen vermeiden wollen, dann sollen sie es doch einfach so implementieren, daß es gar nicht erst möglich ist, statt hinterher mit der Sperrkeule gleich noch einen weiteren Spieler zum Accountlöschen zu veranlassen.
Den besten Anfängerschutz habe ich bislang bei Escaria gesehen. Escaria ist sowieso ein vergleichsweise hochinnovatives Spiel und mit Sicherheit das beste, das ich je gespielt habe. Leider wird es von den Betreibern stark vernachlässigt. Dieses Spiel hätte echt noch Potential. Jedenfalls hat in dem Spiel jeder nur eine Insel, mit der er auf dem Ozean herumfährt wie mit einem Schiff. Im Laufe der Zeit vergrößert man die Insel immer weiter, indem man Inselteile anbaut, die auf dem Meer herumtreiben.
Aber nicht überall auf dem Meer, sondern nur in ganz bestimmten Zonen. Und diese Zonen stellen Inselteile nur für Inseln des passenden Levels bereit. Das heißt, man muß mit seiner Insel in eine Zone fahren, die dem eigenen Level entspricht. Dadurch tummeln sich in jeder Zone nur Spieler des gleichen Levels (oder max. 1 höher), während unterschiedliche Level räumlich stark getrennt sind (ich glaube 1 Tag Fahrzeit). Das ist mit Abstand das beste Konzept, daß ich zu dem Thema gesehen habe. Aber auch dieses Konzept reicht eben nur so weit. Bei Escaria konkret bis Level 15, ab dann sind sich wieder alle gegenseitig ausgeliefert.
Außerdem gibt es in Escaria Schutzzonen, in denen man nicht angegriffen werden kann. Dies dient zur Linderung des Always-on-Problems. Allerdings sind die Inselteilzonen und die Schutzzonen disjunkt (außer ganz am Anfang), deshalb muß man sich entscheiden: Entweder man hängt in der Schutzzone ab und verzichtet dadurch auf die Inselteile, die für die Weiterentwicklung wichtig sind. Oder man greift die Inselteile ab, kann solange aber angegriffen werden. Man kann sich vorstellen, wie das zweimal täglich zur Inselteilausgabe (passiert zu festen Zeiten) aussieht, wenn die ganzen Freßopfer aus der Schutzzone schippern und versuchen, den Raubtieren zu entkommen.
Also Escaria ist wirklich einen Blick wert, wenn man sich für Möglichkeiten interessiert, die bekannten Problem zu lindern. Da hat sich offensichtlich jemand Gedanken gemacht und gute Ideen gehabt. Doch letztlich können auch diese Techniken die grundlegenden Prinzipien nicht außer Kraft setzen.
Daher bleibt das simple Fazit: Bei Spielen mit Aufbaucharakter müssen alle Spieler weitgehend gleichzeitig anfangen, denn wer später kommt, der verliert /immer/. Keine künstlichen Schutzmaßnahmen können daran nachhaltig was ändern.
Hallo T-Bull,
AntwortenLöschenvielen Dank für diese zwei interessanten Beiträge!
Tatsächlich gibt es einige Parallelen zwischen Kapitalismus und Strategiespielen, jedenfalls immer da wo Strategiespiele einen wirtschaftlichen Aspekt beinhalten und das ist bei jeder Form von Aufbauspielen der Fall.
Allerdings gibt es eine Abweichung in der Realität von der Simulation. In der Realität kommen meist andere Faktoren dazu, die dann irgendwann das Wachstum hemmen. Da wäre z.B. die Sache mit der Marktsättigung. McDonalds wächst eben solange, bis in jeder Stadt, an jeder Straßenecke ein solcher Laden vorhanden ist und die Leute dann irgendwann auch was anderes essen wollen -- der Markt ist dann sprichwörtlich gesättigt. Oder viele Firmen kranken irgendwann an ihrer Größe, weil die Mitarbeiter einfach nicht mehr so innovativ sein können ... Oder es gibt einfach einen anderen Trend und Jeans sind plötzlich out und andere Hosen werden getragen ...
Solche Effekte -- die teils unberechenbar sind -- gibt es in bisherigen Simulationen nicht und das exponentielle Wachstum setzt sich fort und fort. Man muss auch keine neuen Lösungen finden, sondern immer die selben Kniffe verhelfen einem zum Zugewinn. Auch hier könnten Online-Spiele, die sich den Spielern anpassen zu immer neuen Spielerfahrungen führen, was sie aber Stand 2013 leider nicht tun.
Anfängerschutz ist ein schwieriges Thema und gehört nicht nur in ein Seitenposting irgendwo im Forum, da sind wir ganz Deiner Meinung!
Wir denken, dass ein Spielsystem sicherstellen kann bzw. es sogar muss, dass alle Spieler die gegeneinander antreten auf einem ähnlichen Niveau sind. Ansonsten wird es immer Auswüchse geben.