Sonntag, 10. Juni 2012

WBF-01 (Viele Browser-Strategiespiele nerven furchtbar weil ...): Always On

Dies ist die erste kurze Abhandlung einer Reihe von Abhandlungen über heutige Browser-Stragegiespiele und warum sie uns im besten Falle unbefriedigt zurück lassen.
Sehr viele der heutigen Browser-Strategiespiele spielen in Echtzeit. Das heißt, das Geschehen im Spiel läuft parallel zum Geschehen im echten Leben. Dabei kann das Spiel durchaus schneller laufen als das Leben -- im Leben vergeht vielleicht ein Tag, im Spiel eine Woche. Ob nun im Spiel 24 oder 168 Stunden vergehen -- es bleibt: Das Spiel läuft rund um die Uhr, auch wenn man zur Arbeit geht, gerade schläft oder einfach mal "off" sein möchte.
Manchen mag das als Vorteil erscheinen, mitten in der Nacht aufstehen und wieder ein paar Truppen verschicken zu können. Den Betreiber der Server macht es auch nichts aus, denn die Server laufen ohnehin meist rund um die Uhr und wenn man wirklich mal eine Auszeit für die Technik braucht, kann man dennoch den Stecker raus ziehen.
Doch mancher Spieler hat schon festgestellt, dass ein normales Leben mit Arbeitstagen, normalem Schlaf und vielleicht noch Familie sich nicht mit solchen Strategiespielen vertragen. Denn so manch pfiffiger Spieler hat schon herausgefunden, dass es oft von Vorteil ist, wenn man genau dann seine Truppen aussendet, wenn der Gegner gerade nicht am Computer ist -- weil die Uhr eben gerade Vier Uhr morgens geschlagen hat.
Nachdem man zum dritten oder vierten Mal auf diese Weise mit herunter gelassenen Hosen "offline" erwischt wurde, macht das schönste Strategiespiel kaum noch Spaß, denn nicht jeder möchte seine Lebensgewohnheiten dem Online-Spiel zuliebe komplett umstellen oder nachts auf der Lauer nach einfallenden Vandalenhorden liegen.
Da hilft es auch wenig, dass es jetzt zunehmend Browserspiele gibt, die auch gleich auf dem Mobiltelefon laufen. Jetzt kann man im Bus, in der Bahn oder bei der Arbeit auch noch seine Einheiten dirigieren oder nötige Verteidigungsmaßnahmen einleiten. Doch, was man selbst kann, können die anderen auch. Mit Mobilunterstützung wächst auch die Zahl derer, die zu jeder Tages- und Nachtzeit die Möglichkeiten eines Überfalls ausprobieren -- und wehe der eigene Akku macht unterwegs schlapp!
Stellt sich die Frage, ob alle Anbieter solcher Spiele denken, der optimale Strategiespieler wäre ein Online-Zombie, der sein ganzes Leben eben an diesem Spiel ausrichtet? Warum kann es nicht anders gehen? Technische Gründe werden es wohl kaum sein, denn irgend etwas wird man schon finden, was die Computer in der Nacht tun könnten, anstatt Babysitter für Horden von schlaflosen Online-Zombies zu spielen ...

4 Kommentare:

  1. Grundsatzfrage. In Echtzeit laufende Spiele bieten Action und liefern zumeist unmittelbare Ergebnisse zu Spielentscheidungen, der dem Ehrgeiz verpflichtete Wettbewerbsgedanke ist immanent ("wer zuerst kommt, mahlt zuerst"). Eine geschickte Koppelung aus Thrill und Ego, die deshalb vor allem jüngere Spieler begeistert, denen es bekanntlich an Geduld und Weisheit noch mangelt. Für den schnellen Kick, den kurzfristigen Vorsprung sitzt demnach auch das Geld recht locker: Mal eben 1,99 per SMS bezahlen und die kritische Schlacht mit einem fetten Moralboost noch rumreißen. Wer sein Spiel auch nur einigermaßen kommerziell erfolgreich betreiben will, muss die Uhr im Hintergrund wohl zwangsläufig unerbittlich ticken lassen.

    Immerhin gibt es da auch charmante Modelle, die normale Lebensweisen wie Schlaf- und Arbeitszeit berücksichtigen. Ich habe beispielsweise schon Spiele erlebt, die rigorose Kampfpausen von z.B. 22 bis 8 Uhr eingebaut haben. Weswegen dort auch weniger von den jungen hungrigen Wölfen zu finden waren, die ihren Mangel an strategischer Erfahrung mit einer ausgeprägten Vorliebe für nächtliche Überfälle wettzumachen suchen. Oder aber die Laufzeiten bzw. Kampfticks sind derart gestaltet, dass man sich entspannt 8 Stunden aufs Ohr legen kann, ohne fürchten zu müssen danach vor dem militärischen Totalverlust stehen zu können. Ein ganz gutes Beispiel dafür ist vielleicht "Supremacy 1914".

    Die quasi historische Variante (in Anlehnung an "Diplomacy"), bei der man z.B. seine Spielzüge nach Gusto setzen kann und die simultane Auswertung meinetwegen nachts um 2 Uhr erfolgt, ist da sehr freundlich zum Individuum. Setzt aber voraus, dass die Spieler die entsprechende Geduld mitbringen, was die potenzielle Klientel schon mal gewaltig einschränkt. Das Spiel selbst muss dann immer noch spannend genug und in der Wahl der Spielzüge variantenreich sein, um die Leute über den entsprechenden Zeitraum bei der Stange zu halten. Fette finanzielle Gewinne dürften da sicherlich nicht zu erwarten sein; mit einer loyalen und begeisterten (gleichwohl intelligenten) kleinen Community ließe sich das aber gewiss als hübsche Alternative in der Nische realisieren.

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  2. Ja, der Always-on-Zwang... Das mit Abstand größte Manko bei all diesen Spielen. Der Grund, warum man bei Spielen dieser Art überwiegend Schüler/Kiddies, Arbeitslose und Leute, die grad ihr Studium verkacken, findet. Der Grund, warum Leute nach kurzer Anwesenheit Parties verlassen, weil sie ihre Flotten saven müssen. Und auch der Grund, warum ich schweren Herzens diesen Spielen den Rücken gekehrt habe.

    Ich habe auch schon lange darüber nachgedacht, wie man dieses Problem beheben könnte. Etwas überzeugendes ist mir nicht eingefallen.

    Es gibt Spiele, die haben nachts eine Angriffsperre (wurde weiter oben schon genannt). Problem dabei ist, daß man dann trotzdem noch sein Leben nach dem Spieltakt ausrichten muß. Denn es ist ja nicht nur so, daß nachts die meisten Leute schlafen. Man hat ja auch tagsüber anderes zu tun. Sei es Arbeit, sei es ein Familienausflug -- das Reallife verläuft nicht so regelmäßig wie der Wechsel der Spielphasen. Vergessen wir auch nicht, daß es Leute gibt, die Nachtschichten arbeiten. Die müssen tagsüber schlafen und wollen sich vielleicht gerade nachts im Bereitschaftsdienst die Zeit vertreiben.

    Von vielen Spielebetreibern wird über Weihnachten und dann Silvester eine Spielpause konfiguriert. Für die meisten sicher hilfreich. Andere aber finden vielleicht gerade zu Weihnachten mal die Zeit, intensiv zu spielen.

    Also Zwangspausen aller Art sind sicher nicht die Lösung.

    Folglich müsste jeder selbst über seine angriffsfreien Zeiten bestimmen können. Am einfachsten wäre, daß man halt nicht angegriffen werden kann, wenn man offline ist. Das zieht aber auch wieder Probleme nach sich. Wenn von zwei Spielern immer einer offline ist, weil deren Onlinezeiten einfach so inkompatibel zueinander sind, dann ist man in der Situation, daß man diesen bestimmten Gegner einfach nie bekämpfen kann. Fairerweise dürfte man dann auch keine eigenen Angriffe starten können, kurz bevor man offline geht. Dadurch sind dann Fernangriffe weitgehend ausgeschlossen. Und natürlich würde solch ein Feature ganz massiv zum Mißbrauch einladen, wenn man bei Annäherung eines übermächtigen Gegners einfach offline gehen und einen Angriff aussitzen kann.

    Die oben genannte Variante, die Laufzeiten so lang zu gestalten, daß der Gegner einfach nicht so schnell da ist, klingt interessant, kannte ich noch nicht. Aber wird dadurch das Spiel nicht ziemlich langatmig? Vielleicht nur etwas für erfahrene Spieler, die wissen, warum sie das geringe Tempo des Spiels inkauf nehmen wollen. Ein Anfänger, der solche Spiele noch nicht kennt, wird das aber nicht einsehen können, sondern wird gerade durch schnelle Ergebnisse in das Spiel erst reingezogen. Tatsächlich sieht man häufig, daß in der Startphase eines Spiels die Accounts innerhalb weniger Stunden oder Tage aufgegeben werden, weil die Bauzeiten schnell länger werden und man einfach nichts machen kann außer warten. (Deshalb ist es wichtig, die soziale Komponente der Spiele herauszustellen. Aus der Sicht ist dann das gelegentliche Klicken quasi nur Beiwerk zum Group Chat.)

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  3. Vergleichen wir das mit der Realität, dann sehen wir, daß das Problem im Prinzip liegt. Nehmen wir also einen richtigen Krieg. Auch hier muß die Armee "always on" sein. Der Unterschied ist, daß es hier der /Job/ der Soldaten ist, Krieg zu spielen. Die haben keinen anderen Day Job, dem sie zusätzlich noch nachgehen müssen. Urlaub gibt es selten, Familienausflüge gar nicht. Und wenn eine Schlacht Tage oder Wochen ununterbrochen tobt, dann muß auch solange wach geblieben werden. (Wie wir inzwischen aus zahlreichen Dokus auf den hinteren Kanälen wissen, spielten in sämtlichen Kriegen des 20. Jahrhunderts Aufputschmittel eine bedeutende Rolle. So wurden die Soldaten im 2.WK durchgehend mit http://de.wikipedia.org/wiki/Pervitin versorgt, ein Mittel, dessen Verfügbarkeit in der NVA bis kurz vor Ende der DDR sichergestellt war.)

    Meine Idee zu dem Thema geht in die Richtung, daß man für Abwesenheitsphasen die Taktik seiner Truppen konfigurieren können müsste. Sodaß dann die Truppen bei Ankunft eines übermächtigen Gegners automatisch ausweichen, während sie einen schwächeren Gegner selbständig bekämpfen. Das wäre so eine Art Autopilot, der sich auch auf die zivilen Spielteile erstrecken könnte (etwa Ressis beiseite schaffen). Auf diese Weise könnte man das Problem vielleicht etwas abmildern. Aber der Teufel steckt hier sicher im Detail. Man müsste wahrscheinlich viele Eventualitäten vorhersehen und entsprechend konfigurieren können, was schon allein beim GUI zu einem ziemlichen Aufwand zwingen würde.

    Schließlich muß man dann auch wieder den kommerziellen Aspekt beachten. Es könnte ja sein, daß gerade die Spiele in ihrer heutigen Ausprägung genau die Klientel bedient, die am meisten Geld dort hinträgt. Eben Schüler, die ihr ganzes Taschengeld auf den Kopf hauen (naja, immer noch besser als Jamba-Abos) oder Arbeitslose, für die diese Form des Zeitvertreibs trotzdem deutlich billiger ist als andere Freizeitbeschäftigungen. Dann sind all diese Überlegungungen kommerziell wertlos. Bzw. müsste man die Preise für eine begeisterte Nischencommunity entsprechend hoch gestalten, aber das ist gleichbedeutend mit kommerziell wertlos.

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  4. Die Idee mit der konfigurierbaren Taktik ist sehr gut. An ähnliche Techniken hatten wir auch schon gedacht.

    Aber es ist wohl schon richtig, dass bei der heute üblichen Ausrichtung von vielen Strategiespielen das Hauptklientel eher die einfachen Spielmechanismen zu würdigen wissen.

    Die Frage ist nur, ob sich inzwischen nicht auch genug Leute finden würden, die an wirklich anspruchsvollen Spielen interessiert wären.

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